Kleinigkeit

Für jeden Menschen ist eine bestimmte Menge an Geduld vorgesehen. Die verbraucht er im Laufe seines Lebens. Manche mehr, manche weniger. Ich habe für dich mehr Geduld verbraucht, als für mich geschweige denn für dich je vorgesehen war.

Jetzt stehe ich am Nullpunkt und irgendwas in mir will mehr Geduld. Weil irgendwas, das, immer noch hofft, dass du dich änderst. Dass wir uns ändern. Dass sich alles ändert und ich keine Geduld mehr brauche. Nie wieder. Für dich. Für mich. Weil Geduld keine Rolle mehr spielt. Die wäre zusammen mit meinem endlosen Verzeihen, meinem schwachen Warten und deinen erbarmungslosen Enttäuschungen abgehauen.

Sind sie aber nicht. Sie stehen mit 995 traurigen Tatsachen vor mir, die dagegen sind. Gegen dich. Engen mich ein. Und neben mir, da steht eine kleine Kleinigkeit die immer wieder flüsternd für „Ja“ plädiert. Vor ihr bin ich immer schon auf der Flucht gewesen. Sie hat mich immer wieder eingeholt. Mich schwach gemacht. Und egal wie erschöpft ich war, ich bin immer wieder mit ihr gegangen. Jetzt steht sie neben mir und ich schaue sie an, die eine kleine gute Kleinigkeit. Frage mich und sie, was sie hier noch will. Was erwartet sie von mir? Ich sehe es in ihren Augen. Sie will mir etwas sagen. Aber sie schweigt. Genau wie ich. Endlich.

Ich sehe es ein. Du holst mich nicht mehr ein. Du führst deins und ich meins. Das ist nicht mehr das selbe Leben. Eins ohne Geduld. Und ohne dich. Denn mehr Geduld kriege ich nicht. Die kleine Kleinigkeit steht immer noch neben mir, schaut zu mir hoch, zieht an meinem Mantel. Will, dass ich mitkomme. Ich bleibe stehen, weil ich nicht mehr kann und will. Keinen Schritt mehr auf dich zu. Weil das einzige was uns verbindet, diese kleine Kleinigkeit ist, die nicht mal sagt was sie eigentlich will. Und bald ja ganz bald, wird sie genau so weit weg sein wie die Spielchen die du getrieben hast. Zu weit um mich noch mal schwach zu machen.

Ich habe für dich mehr Geduld verbraucht, als für mich geschweige denn für dich je vorgesehen war. Ich stehe am Nullpunkt und nichts in mir will mehr Geduld. Weil die 999 Tatsachen wissen, dass du dich niemals änderst. Dass ich mich verändert habe. Mich keine Kleinigkeit mehr schwach macht und ich keine Geduld mehr brauche. Genau solang, bis die Kleinigkeit größer geworden ist und mich wieder einholt.

Dunkelroter Nachgeschmack

Ich wache auf. Mein Blut färbt sich dunkel. Dein Farbton. Ich spüre deinen kalten Atem und beobachte, wie sich der letzte Tropfen Wein von gestern Abend im Morgengrauen auf den Fliesen spiegelt. Ich stehe auf. Die Fliesen sind Eis und mir ist kalt. War dein Wohnzimmer immer schon so beklemmend? Ich hebe die Flasche auf, mache sie leer. Ein letzter Schluck. Der Nachgeschmack läuft mir den Hals runter. Bitter. Irgendwas tut weh.

Ich fahre los. Ein letztes Mal, weg von dir und deiner dunkelroten Verführung. Ein letztes Mal. Wie jedes Mal. Wenn das hier ein Spiel gewesen wäre. Hättest du gewonnen. Wenn es ein Überfall gewesen wäre, hättest du mich ausgeraubt. Bis auf meinen letzten Herzschlag. Rastlos. Angekommen steh ich machtlos mit dem Rücken zur Wand. Bin gelähmt und geleert von dir, sehe nichts mehr von mir. Sieh sie dir an, meine Angriffsfläche ohne Ende. Nur für dich. Doch zu holen gibt’s hier nichts mehr. Mit jeder geleerten Flasche und mit jedem Besuch bei dir, ging ein Stück von mir.

Weil mit dir jeder Wein schmeckt.
Weil keiner besser schmeckt als du.
Ein letztes Mal. Cheers.
Wie jedes Mal. Ein allerletztes Mal.

Nicht, auf uns.

 

Halbtagsschweigen – Still sein ist (k)ein Schatz – „Earcleaning“ ein Selbstversuch

In dem Buch „Die Kunst ein kreatives Leben zu führen“ gibt es ein Kapitel mit dem Titel ‚Kreativität ist eine stille Angelegenheit‘ und dem Unterthema ‚Hören lernen‘. Die erste Aussage kann ich bestätigen. Die besten Texte und die kreativsten Einfälle habe ich meistens wenn ich schweige und vorzugsweise allein bin, vor allem Abends und kurz vor dem Einschlafen. Aber was steckt noch mehr hinter dieser Aussage? Eingeleitet wird das Kapitel mit dem Aufruf das Hören neu zu lernen und wieder hellhöriger für den Klang unserer Welt zu werden. Im Kontext mit der Aussage: „Wer sich mit der Stille beschäftigt, muss sich dem Geräusch widmen.“ (S.88) klingt das nach einer Herausforderung, die es wert ist angenommen zu werden.

 

gedankenart

 

Weiter wird von dem kanadischen Komponisten Murray Schäfer und dessen Arbeit berichtet. Er gilt als Erfinder der „akustischen Ökologie“ und beschäftigt sich mit dem so genannten „Akustikdesign“. Unter anderem hat er ein Übungsprogramm mit dem Namen „Earcleaning“ entwickelt. Darin geht es um die Hörsinnverfeinerung und tiefer noch darum Stille zu respektieren und sich mit ihr auseinander zu setzen. Alles was man braucht ist einen Tag Zeit um zu schweigen, am besten allein. Gegen alle Rechtfertigungsgedanken, die einem dann sofort einfallen, wieso das nicht machbar ist, steht die Tatsache, dass es geht. Naja so halb. Dazu später mehr.

Aber wenn man will, dann geht das, ganz sicher. Im Mittelpunkt des Experiments steht das „soziale Schweigen“, heißt kein Lesen, kein Internet, nein, auch kein ‚Facebook’. Kein ‚Whats App’, gar kein Handy und auch kein Fernseher. Glück gehabt, den hab ich sowieso nicht. Es geht um hellwaches zuhören der Welt um einen herum. Was man zum Beispiel machen kann sind „Soundwalks“ im Wald, nicht gucken, sondern bewusst die Außenwelt hören. Und so steht es da zu mindestens, dann würde mein Kopf automatisch machen was er will und nicht mehr was ich will.

Ich hatte das Buch schon vor einigen Monaten gelesen und habe damals gedacht, ja ganz interessant, aber nicht der richtige Zeitpunkt um es auszuprobieren. Stress eben. Wie das so ist. Jetzt bin ich gerade mit meinem Freund in Urlaub und er liest das Buch auch. Gestern Abend kam er zu mir und wollte „Earcleaning“ unbedingt ausprobieren. Wir haben uns auf einen halben Tag lang schweigen geeinigt. Denn wenn ich ein Mal im Jahr mit ihm in Urlaub bin, dann will ich mich nicht anschweigen. Das werden wir, wenn wir erst mal 30 Jahre verheiratet sind schon noch genug – Keine Angst Mama und Papa, wir heiraten (noch) nicht. Also gut, Kompromiss mit dem wir beide einverstanden sind. Ist zwar nicht ganz regelkonform, aber besser als es gar nicht auszuprobieren. Denn ich weiß, dass ich es zu Hause im Alltag sowieso nicht mache. Gespannt auf morgen sagen wir Gute Nacht.

Augen auf. Ich habe ziemlich komisch geträumt. Würde ich gerne erzählen, aber darf ich ja nicht. Er ist wie immer vor mir wach und schon unten. Ich gehe runter. Wir schauen uns an, müssen grinsen. An seiner Badehose erkenne ich, dass er schwimmen gehen will. Er hat 2€ in der Hand. Ich gucke ihn fragend an. Ah, er will Brot kaufen. Mit Händen und Füßen frage ich ihn, wie er das denn ohne zu sprechen machen will. Er meint, das kriege er schon hin und geht los. Na gut. 5sec später kommt er wieder, grinst mich an, legt das 2€-Stück auf den Tisch und geht wieder. Ich muss erneut grinsen und mache mir ein Müsli. Er ist unten am Strand. Ich setze mich auf die Terrasse und lausche den Wellen und meinen Kaugeräuschen. Ja, ich glaube das entspricht jetzt wieder den Regeln. Den Tag über bis zwei Uhr, das ist unsere „Don’t-speak-Deadline“, lese ich, putze, räume auf, schreibe Briefe und Postkarten. Ab und zu kommunizieren wir, natürlich nur mit Blicken. Das entspricht wohl nicht ganz dem Sinn von Schafer, aber dann machen wir eben unser eigenes Experiment draus. Und dabei werde auch ich noch zu dem Punkt kommen, an dem die Sache hier Sinn macht, für mich und meine Arbeit und natürlich im Bezug auf die Thematik des Buches.

Die Zeit bis zwei Uhr heute will ich außerdem nutzen um einen Text fertig zu schreiben, den ich auf der Hinreise angefangen habe und nicht weiter komme. Einer von den Texten, die Zeit und einen Krampf kosten bis sie fertig sind und ich zufrieden bin. Ich fange an. Habe keine Lust, weil die Wörter mir nicht aus den Fingern gleiten, so wie sonst immer. Ein Kampf und ein Krampf eben. Aber weder mein Handy, mein Laptop (gut, den habe ich sowieso nicht dabei, weil laptopfreier Urlaub) noch er mich oder ich ihn, können mich jetzt von der Tatsache ablenken, diesen Text FERTIG zu schreiben. Die Gedanken bleiben hier, weil sie in der Stille um mich herum keinen Ausweg finden. Nur in meinem Kopf ist es laut. Konzentriert laut. Und das ist gut. Denn es sind ja meine Gedanken. Die hört sonst niemand. Die Geräusche um mich herum, meine Gedanken und ich, wir sind allein. Arbeitsfördernd und sehr produktiv. Und das ist es doch, was das hier soll, oder? Hellhöriger werden, sei es im Bezug auf sich selbst.

Funktioniert. Okay, das ist jetzt nichts Neues. Das ist eigentlich immer meine Art, wenn ich konzentriert arbeiten will. Aber der Gefahr des ‚Facebooktabs’, der kleinen roten Eins unten im Dock oder des Vibrierens meines Handys bin ich so nicht ausgesetzt. Eine bewusste Entscheidung dafür, die Außenwelt außer mit ihren natürlichen Geräuschen zum Schweigen zu bringen, fördert die Konzentration. Eine Feststellung, die man ruhig ab und zu aufs Neue machen darf und soll.

Eine ganz andere Frage ist, was bewirkt Schweigen zwischen zwei Menschen oder viel mehr zwischen einem Paar? Die Zeit mit dem Partner ist begrenzt. Gerade, wenn jeder sein Ding macht und der Alltag zeitlich getaktet ist. Möchte ich da die kostbare Zeit, die wir als reine Zeit zur Verfügung haben ohne, dass er zur Arbeit muss und mir mein nächstes To Do im Nacken sitzt, mit Schweigen verbringen? „Earcleaning“ mit dem Partner zu machen ist sozusagen eine Erweiterung des Experiments, die auf jeden Fall interessant ist. Wie können wir noch außer verbal miteinander kommunizieren? Wie stark sind Körpersprache oder Blicke ohne eine zusätzliche Erklärung? Ignoriert man sich dann schneller? Kann man weniger zeigen, was man will? Ja klar, kann ich Zuneigung ohne Sprache zeigen, aber sobald es komplizierter wird und ich etwas komplexeres bereden möchte, was mir eben mehr als nur ein Wort zur Erklärung abverlangt, wird es schwierig. ‚Reden ist Silber, schweigen ist Gold.‘ Jaja und Nein. Man muss in den richtigen Momenten auch mal Schweigen können. Trotzdem sind das andere Momente als heute. Denn die Zeit die man mit einer geliebten Person zur Verfügung hat sollte man nutzen. Für Gespräche die bleiben. An die kann man dann in anderen Momenten des Schweigens denken.

Einen halben Tag lang zusammen schweigen, ein Experiment, was gleich zum Glück ( können wir sonst so viel und so gut reden) rum ist. Ich bin zwiegespalten. Aber ja, wenn man das ganze zu zweit macht, dann hilft das vielleicht sogar noch mehr durchzuhalten. Weil man es dann nicht nur sich selbst, sondern auch noch dem anderen beweisen kann, dass man für ein paar Stunden leise sein kann. Jemandem etwas zu beweisen sollte zwar auch nicht Sinn und Zweck der Sache sein, aber Tatsache ist, dass wir allein mit unserer Konzentration waren. Denn die geht in einer ziemlich lauten, dauer online-rauschenden Welt nämlich zu oft unter. Konzentration ist leise. Und du findest sie nur ganz, wenn du es auch mal, voll und ganz mit allem, was du hast, bist.

 

 

 

Zwei Tassen Kaffee mit extra starken Pancakes

 Woran willst du dich erinnern, wenn wir uns wieder sehen?

Ich laufe zur Arbeit. So wie damals. Ob wir das werden? Nach allem weiß ich nicht mehr warum, aber mehr als ein Gefühl von „Darum“ sagt mir, dass es so sein wird. Wir würden voreinander stehen und in die Augen eines Fremden blicken. Wild. Ich habe inzwischen fast vergessen, wie es sich angefühlt hat. Wenn es jetzt so bleibt, wie es ist. Dann werde sogar ich irgendwann den Moment vergessen als wir uns zum ersten Mal begegnet sind. Wenn ich daran denke, habe ich eine Melodie im Kopf. Deine Töne. Es war früh. Ein schöner Sommermorgen mit warmen Kaffee. Extra Stark. Nur für mich. Und die Pancakes. Das weiß ich noch. Jetzt denke ich bei jedem Kaffee dort, wie es wohl wäre dich jetzt wieder zu sehen. Ich denke viel an dich. Denkst du nur halb so viel an mich? Ich denke nicht. Freunde ohne Freude.

Ist es das, was es jetzt ist, was bleibt? Ist das der Rest den du noch für mich übrig hast? Von all deinen großen Reden, lauten Versprechen und Plänen. Nichts. Ich würde alles stehen und liegen lassen. Vergeben und vergessen. Nur um nicht das zwischen uns stehen zu haben, was jetzt dort wäre. Nur um nicht den Anblick des Ist-Zustands ertragen zu müssen. Ein Geist ohne Gesicht und wenn er doch eins hätte, dann ein ziemlich trauriges. Schweigen. Du weißt wie der Moment wäre. Ist es das, was du willst? Woran willst du dich erinnern, wenn wir uns wieder sehen? Was willst du mir mit deinem Blick dann sagen? „Hey, schön dich wieder zu sehen. Weißt du auch noch wie schön es damals war?“ oder “ Hey, scheiße man, schau mich nicht so an, so hätte es nicht enden dürfen.“ Ich will dir sagen können:“ Gott ja! Ich weiß es noch und ich werde es nie vergessen. Lass es wieder so werden!“

Weil trotz allem was war, was nicht mehr ist, das andere bleibt. Weil ich die Königin im Verzeihen bin. Du weißt wie ich und ich wie du. Dass wir und wie wir sind. Ich stehe noch immer vor dem Platz, komme zu spät. So wie du immer. Das habe ich dir nie übel genommen. Eigentlich habe ich dir nie irgendwas je wirklich länger als einen Herzschlag übel genommen. Selbst der Stich in dem du mich jetzt wieder gelassen hast. Ich würde vergeben. Vergehen. Schmerz vergeht. Deine Abwesenheit bleibt. Du weißt es. Ich bereue wie immer viel zu wenig. In meinen Säalen zwischen Kopf und Herz bleibt immer ein Platz auf den alten Kinosesseln für dich frei. Wann immer du willst, komm rum. Auf einen extra starken Kaffee. Und Pancakes dazu. Nur für dich.

Herzblut kann man nicht mit Wasser mischen

Mal hier was aufschnappen und mal da blinzeln. Aber nur aus dem Augenwinkel, so dass es keiner merkt. Superlativ von „copy of a copy of a copy“. Das als allgemeine Einstellung. Von dem und von dem ein bisschen und dann so tun als wenn es eigen wäre. Geblöffte Kreativität. Dabei über Leichen gehen. Anderen in den Arsch kriechen. Achtung, bald verschwindet der Kopf in den bunten Hinterteilen. Ein bisschen guten Duft vom Talent schnuppern und schnell im leeren Kopf abfüllen.

Nenn es abkupfern, imitieren, nachmachen, kopieren, nachahmen oder inspirieren. Das ist eine filigrane Gratwanderung. Du machst eine Straße draus auf der rumgetrampelt wird. Gestalterische Leidenschaft muss in der Seele verankert sein. Es braucht den Funken, der nie ausgeht und der vor allem irgendwo schon immer da war. Keine Diskussion. Gestalterische Persönlichkeit kann und soll sich entfalten, darf sich verändern, entwickeln und beeinflussen lassen. Aber jeder braucht seine eigene. Einfach nehmen funktioniert nicht. Stil kann man nicht kaufen und Können nicht erquatschen. Weniger connecten, mehr machen. Selbst machen. Selbst denken. Das wär doch mal was Neues. Kreativität hat man oder man versucht sie sich zusammen zu suchen. Viel Glück dabei. Copy. Paste. Copy. Paste. So wird das nichts mit eigenen Originalen. Früher oder später werden Plagiate erkannt. Wie Tofufleisch oder alkoholfreies Bier. Herzblut kann man nicht mit Wasser mischen.

Mit gefaktem Können wird sich in unverdientem Lob gesuhlt. Kein Herzblut, keine Leidenschaft. Anstatt dessen dreister Egoismus. Gestalter ist nicht gleich Gestalter. Gestaltung ist Haltung. Gestaltungsliebe heißt Persönlichkeit. Deine ist hässlich. Untalent wird versucht durch hyperaktives Hingucken zu kompensieren. Kilometerweit rechts und links gucken. Kein eigener Blick. In deinen Augen erkennt man nichts, außer die Begeisterung für etwas, was du nie erreichen wirst. Und by the way: Karma, baby!

 

Helmut Schmid  – „Gestaltung ist Haltung. design is attitude.“

 

Zündstoff der Synapsen

Der durchschnittliche Mensch denkt etwa 60.000 Gedanken pro Tag
Wir sind 180.000 – Uns wirst du nicht los.

Schutzgeld wollte dein Herz. Bettelnd und wimmernd kam es an, flehte uns an. Wir sollen es und dich retten. Du warst diejenige, die beschlossen hat, dass wir den Ton angeben sollen. Du wolltest die volle Gedankenkontrolle. Dass wir dich kontrollieren. Gefühle raus. Gedanken rein. Ja, das musstest du uns nicht zweimal sagen. Weil: Juhu, das ist unser Job. Machtwechsel. Damals als wir einmarschierten, hatten wir nichts anderes zu tun, als dein kleines vertrocknetes Herz aufzupäppeln. Wie eine kleine Rosine, die zu lange in der Sonne gelegen hat, hang es verkrüppelt am aufgerauten Faden, voll von völlig verkommenen Emotionen.

Hast du eigentlich irgendeine Vorstellung wie viel Arbeit und Energie das gekostet hat? Auf deiner unzulänglichen Suche nach dem Leben und der Liebe hast du dein Herz und viel mehr dich kaputt gemacht. Wir waren diejenigen, die dir geholfen haben, überhaupt wieder klar zu kommen. Das hast du vielleicht erfolgreich verdrängt, aber ohne uns würdest du jetzt mit Sicherheit in irgendeiner Geschlossenen hocken und das einzige worüber du nachdenken könntest, wäre die nicht vorhandene Wandfarbe in deiner Zelle.

Weißt du, wir verlangen nicht mal Dankbarkeit. Wir haben das ja fast gerne gemacht. Aber wenigstens Akzeptanz wäre schön. Wir haben uns den Arsch dafür aufgerissen, dass du wieder klar denken kannst. Wir haben deine malträtierten Gefühle wenigstens ansatzweise wieder in Ordnung gebracht. Und jetzt kommst du daher und willst uns weismachen, dass du ohne uns besser dran bist? Glücklicher bist? Ja, wie schön für dich. Du hast was Neues am Start. Ein paar Küsse und das bisschen Sex. Ein paar Blicke und Gerede. Dafür willst du alles aufs Spiel setzen? Hast du irgendwas aus der Vergangenheit gelernt? Stell dir vor es gibt Synapsensex. Austausch nicht von Flüssigkeiten, sondern von Gedanken. Auch da gibt es Guten und Schlechten. Guten hast du, seit dem wir uns kennen, jeden Tag. Das kannst du nicht verleugnen. Ja na gut, vielleicht ohne Happy End. Aber die findest du doch eh kitschig. Kein Mensch braucht Happy Ends und erst recht keinen schlechten Sex. Wir wollen dich. Und du wolltest uns. Andere würden sagen „Es tut uns leid, aber…“ – Nein, wir nicht! Es tut uns nicht leid. Du gehörst uns und niemand Anderem. Wir haben dich in der Hand und wir geben dich nicht mehr her. Mach dich nicht lächerlich. Von wegen, von hier aus kommst du alleine klar. Du willst uns loslassen. Willst ohne uns glücklich werden. Das kannst du vergessen.

Merkst du wie wir dich beobachten? Wir sind schneller als du mit deinen beiden Beinen jemals laufen kannst. Wir sind in jeder Ecke. Hinter jeder Litfaßsäule. Stecken in der Linse jeder Überwachungskamera. Scheinwerfer auf dich gerichtet. Wir sehen dich. Spürst du uns? An jedem Rückgebäude. Wir verfolgen dich. In jedem Schritt, mit jedem Tritt. Deine Angst ist unsere Essenz. Wir ziehen uns nicht zurück. So sehr du dir das jetzt wünschst. Denkarbeit ist unsere Berufung und die lassen wir uns sowieso nicht nehmen, aber erst recht nicht von dir. Wir haben einen Seelenspeicher deiner Daten. Stündliches Back-Up. Du bist unser Untertan und wir sind schlimmer als jeder Bulle. Denn die einzige Person, die wir verfolgen, bist du. Das wirst weder du noch dein Herz ändern. Denn wir sind stärker. Wir sind nicht dir. Du bist uns. Du gehörst uns. Du bist abhängig von uns. Und wenn du jetzt einen Schuldigen suchst, der bist nur du oder die Menschen auf die Du dich früher eingelassen hast. Wir waren nicht diejenigen, die dich kaputt gemacht haben.

Du bist so zu uns gekommen. Wir haben dich nur heil gemacht. Und darauf sind wir verdammt stolz. Wir sind der Zündstoff für deine Synapsen. Wir sind der Inhalt deines Seins geworden. Und das lassen wir uns nicht mehr nehmen. Wir sind 180.000 pro Tag. Das sind wir nicht umsonst. Sieh es ein, dein Herz hat hier schon lange nichts mehr zu sagen. Das hast du damals so entschieden. Und nur weil du dem kurzen Anflug von Romantik verfällst, heißt das nicht, dass wir uns mitreißen lassen. Wir ficken dich weiter, weil dir das gefällt. Gefühle und Blümchensex machen dich nicht glücklich. Nur wir sind die, die dein Verlangen stillen. Du wirst uns nicht los. Nie mehr. Du gehörst uns.

Kopffreiheit mit Leib & Seele

Von langen Gedankengängen, dem Gefühl von Sehnsucht und dem plakativem Glück

„Weißt du noch damals, als wir nächtelang in der Bibliothek verbrachten und im Rausch der Buchstaben lasen bis der Himmel anfing wieder hell zu werden?“, liest Alexander mir aus einem Brief vor. Er sitzt auf seinem alten Ledersofa und zeigt, während er den Brief weg legt, keinerlei emotionale Reaktion. Ich frage mich, was er von meinem Besuch hält. Uneinschätzbar. Ein Brief von einem alten Freund. Hannes, sie haben zusammen studiert, Kulturwissenschaft. Nebenher hat Alexander noch Psychologie studiert. Die beiden sind durch Dick und Dünn, Hell und Dunkel gegangen, wollten die Welt erleben und strebten nach mehr. Dem wahren Sinn des Lebens. Da war immer so ein starkes Gefühl von Sehnsucht, erinnert er sich. Das war es, was sie antrieb.

Heute fällt es ihm schwer sich an dieses Gefühl zu erinnern. Er kennt es nicht mehr. Das sagt er zumindest. Ich kann kaum glauben, dass jemand keine Sehnsucht mehr verspürt. Irgendeine Art davon ist doch in jedem von uns verankert erfrage ich. Er stimmt mir zu und meint, dass genau das, das Problem des Menschen sei. Sei das eine erreicht, würde das nächste kommen, was Unzufriedenheit und Sehnsucht verursacht. Zufriedenheit sei ein kurzer temporärer Zustand und dieser sei auch nur für „kleine“ Sehnsüchte möglich. So seine Annahme. Die absolute Sehnsucht, die Sehnsucht nach einem „Mehr“, dem absoluten Glück, die könne man nicht stillen. Daran sagt er, sei er kaputt gegangen. Warum er jetzt ohne diese Antriebskraft lebt und diese sogar nicht mehr zu brauchen scheint, erzählt er mir in seiner kleinen Wohnung in Wiesbaden.

Alexander war einer der jüngsten Literaturpreisträger deutschlandweit. Er hat das Denken und das Philosophieren geliebt und das auf eine bis dato neue Art an den Menschen heran gebracht, das Spielen mit Worten, das Experimentieren mit Satz- und Bedeutungskonstruktionen. Er schuf regelrecht eine eigene Gedankenart, seine ganz eigenen unkonventionellen Stilmittel. Kein Kritiker konnte seine Texte klar in eine Kategorie einordnen. Aber das war es, was seinen Stil, seinen Erfolg ausmachte. Er liebte Menschen und ihre Gedanken, Gespräche und Emotionen. Er schrieb persönlich, wie kaum ein Anderer und vor allem schrieb er für Menschen.

Die Phase hielt allerdings nicht lang an, denn diese Gänsehaut-Welt voller positiver Emotionen, die von den Lesern entgegengebracht wurde, kam aus einer unbunten Gedankenwelt. Seit seiner frühen Pubertät befand sich Alexander in psychiatrischer Behandlung. Er kam mit seinen komplexen Gedanken, die ihn Nacht für Nacht, schon als Kind, wach hielten nicht zurecht. Er befand sich auf dem verlorenen Weg, auf der Suche nach dem Sinn, den es für ich nicht zu geben schien. Irgendjemand musste ihm doch helfen können, helfen zu verstehen, was da in seinem Kopf vorgeht. Aber niemand war dazu in der Lage. Von Deep-Talk zu Deep-Talk, keiner der diplomierten Psychologen konnte ihm helfen Ordnung in sein verwirrendes Netz der Gedankengänge zu bringen. Das interessante ist, dass es nie so weit kam, dass er in eine stationäre Behandlung musste und auch eine „einfach“ zu diagnostizierende Depression oder einer bipolare Störung konnten ausgeschlossen werden. Seine Gedanken reichten zwar von depressionsähnlichen Ängsten bis zu starken Selbstzweifeln, aber das undefinierbare waren die Gedanken, die extrem stark, aber so subtil waren, dass er sie nicht ansatzweise in Worte fassen konnte. In seinem Kopf schien ein komplexes, so abstraktes Konstrukt an Gedanken zu herrschen, dass diesem niemand, am wenigsten er selbst, Herr werden konnte. Er machte Phasen durch, die ihn in seinem alltäglichen Leben so stark beeinflussten, dass er irgendwann anfing nicht mehr raus zu gehen. Doch das war der frühe Anfang einer Wende. Seiner Wende. Er ging zwar selbst nicht mehr raus. Dafür aber seine Gedanken. Aus seinem Kopf, raus aufs Papier. Er schrieb sich die Seele aus dem Leib. Tage lang und noch längere Nächte.

Einer der wenigen Freunde, die er zu dem Zeitpunkt noch hatte, Hannes, kam irgendwann durch Zufall vorbei und las ein paar Zeilen. Er schien geschockt zu sein, erinnert sich Alex, aber auf eine positive Art und Weise. Er war so begeistert, dass er ihm vorschlug das ganze zu veröffentlichen. Zuerst war Alexander kritisch, aber Hannes war in seinem Enthusiasmus so einnehmend, dass er sich mitreißen ließ. Er rat, mehr drängte Hannes ihn dazu, ein Script zu einem Verlag zu schicken. Mehr oder weniger freiwillig tat er es also. Nicht nur ein Verlag, sondern gleich über ein dutzend meldeten sich bei ihm und wollten ein Buch von ihm verlegen. Ab da an ist seine Geschichte selbsterklärend. Er wurde mit Preisen regelrecht beworfen. Lobeshymnen in allen Feuilletons, ein Bestseller nach dem anderen. Aber dadurch, dass er Interviews führen musste, sogar Fernsehauftritte hatte, kam er wieder mit Menschen in Berührung. Es gab wieder so viele Eindrücke und Erlebnisse, Begegnungen mit Menschen, die er verarbeiten musste und anfing sie zu analysieren, dass er wieder anfing in alten Mustern zu denken. Alte Ängste und Zweifel, der alte graue Schleier von damals folgten ihm wieder.

Und dann resignierte er. War es das, was er wollte. Er hatte seine Gedanken, die so lang in ihm, nur für ihn da waren, dem Kapitalismus vor die Füße geworfen. War da draußen irgendein Mensch, der wirklich verstand, was er mit seinen Worten zu sagen vermochte? Eigentlich wollte er seine Gedanken doch loswerden. Und jetzt, jetzt sind sie überall, gedruckt und in tausenden anderen Köpfen der Menschen.

Er brach zusammen. Er schloss sich erneut ein. Es fühlte sich an wie ein Déjà-Vu, wieder ging er Tage und Wochen lang nicht raus. Aß nichts und trank nichts. Er schrieb sich die Finger wund. Pausenlos. Solang bis der Kopf leer war. Doch diesmal war es anders. Hannes kam nicht vorbei, las durch Zufall seine Texte und etliche Verlage wollten seine Gedanken verlegen.

Während er die gefühlt dreihundertste Seite vollschrieb stoppte er. Sein Atem wurde schneller, dann bekam er keine Luft mehr. Ein Koten in seiner Brust platzte. Alexander sprang auf und warf den Stift hin, lief in seiner kleinen Wohnung hin und her. Er brauchte Raum, aber wollte und konnte nicht raus. Er wusste nicht wohin mit sich. Und dann nahm seine Hand ohne, dass er es kontrollieren konnte, das Feuerzeug und zündete seine wochenlang gestapelten Schriftstücke an. Genau so schnell wie die Gedanken von seinem Kopf aufs Papier flossen, brannten sie nieder. Stunden später roch es noch nach verkokeltem Papier. Er lag teilnahmslos auf dem Boden und starrte in den Nachmittagshimmel.

Und dann passierte das, worauf er immer gewartet hatte: Er fühlte sich zum ersten mal in seinem Leben aus tiefstem Herzen frei. Er lag da und dachte an nichts. Frische Luft in seinem Kopf. Er fühlte sich glücklich. Sonst nichts. So lag er da bis es dunkel wurde und einschlief. Am nächsten Morgen wachte er auf und fühlte sich seltsam. Allerdings hatte er ein klares Ziel, dieses Gefühl von gestern Abend, das wolle er öfter haben. Immer haben. Frei und das für immer. Er dürfe nicht mehr denken. Nicht mehr jede Sekunde seines Tages, seines Lebens in alle Einzelteile zerdenken. Schluss mit dem totdenken. Loslassen.

All seine Bücher, Stifte, Notitzhefte und Zettel schmiss er weg. Er zog um, mehr in Richtung Stadtmitte. Hier hatten seine Gedanken nicht so viel Raum um sich auszubreiten. Und das akzeptierten sie. Er suchte sich wieder einen Job. Kurierdienstfahrer, denken nur von A nach B, danach von B nach C. Das Alphabet durchgehen lässt zum denken nämlich wenig Interpretationsspielraum. Eine Liste abfahren, mehr nicht und Sport würde er dabei auch noch machen. Er fühle sich zusätzlich körperlich so gut wie noch nie. Seinen Bekanntenkreis, all die Menschen, die ihn auf Grund seines Erfolges als Freund bezeichneten, die er selbst, aber niemals auch nur als bedeutend empfand, tauschte er aus. Vereinzelt lernte er Menschen kennen, die ihm gut taten und er begann genau das zuzulassen. Er lernte Vertrauen und Gefühle neue kennen und nahm zwischenmenschliche Beziehungen hin, ohne sie bis aufs letzte zu hinterfragen. Die kleinen Dinge, die würden jetzt seine Sehnsucht stillen. Nur mit Hannes trifft er sich alle paar Wochen auf ein Bier. Das sei manchmal nicht einfach, mit ihm die alte Zeit nicht in Verbindung zu bringen, aber er sei, so sagt er, einer der besten Menschen, die man haben kann. Trotz, dass Hannes dafür gesorgt hat, dass er ungewollt so erfolgreich wurde, würde er für immer bleiben, denn ohne ihn wäre er jetzt nicht der, der er ist. Dafür sei er unendlich dankbar. Er wolle im Bezug auf damals nur keine Emotionen zulassen und erst recht nicht die Gedanken von damals.

Ich bin etwas ungläubig und möchte noch genauer wissen, wie er diesen extremen Wandel denn genau bewältigt geschafft hat. So wie er es mir berichtet, klingt es im Nachhinein fast schon einfach, unkompliziert und für jeden, der eben etwas viel denkt, umsetzbar. Alexander erklärt mir, dass er seinen Wunsch, sein Ziel nach dauerhafter Kopffreiheit so klar vor Augen hatte, dass es einfach, dass könne er manchmal selbst kaum glauben, funktioniert hätte. Er sitzt inzwischen leicht unsicher vor mir und ich merke, wie er um Worte ringt. Es scheint eine ziemliche Anstrengung zu sein, darüber zu sprechen. Immerhin muss er dafür ein Stück weit alte Gedanken ausgraben.

Aber er versucht es zu erklären. Bevor er sich totdenkt, sollten lieber seine Gedanken sterben. Und das taten sie. Er könne es beim besten Willen nicht genau beschreiben, aber diese eine Nacht hätte alles so stark verändert, dass er selbst gar nicht mehr viel tun musste. Manchmal klopften die alten Gedanken noch an. Aber er war inzwischen stark genug, um sie noch vor der Tür abzuwimmeln.

Als er so erfolgreich war, wäre er nicht wirklich unglücklich gewesen. Der Erfolg sei schon auf irgendeine Art und Weise schön gewesen. Aber wirklich glücklich war er nie. Sein ganzes Leben habe sich immer so angefühlt, als würde er einen meistens eher schlechten Film schauen und nicht eingreifen können. Jetzt habe er und nur er sein Leben mit beiden Füßen auf dem Boden und dem Kopf voller frischer Luft und gutem Wetter, immer in der Hand. Ich bin geplättet von seiner Geschichte und von dem Menschen, der hier vor mir sitzt.

Weil ich nicht mehr weiß, was ich sagen oder fragen soll und die Stimmung in der Luft mir sagt, dass alles gesagt ist, bedanke ich mich für das Gespräch und mache mich auf. Kurz bevor ich aus der Tür bin, gibt Alexander mir noch einen, ich nenne es mal Brief. Den soll ich auf dem Heimweg lesen. Er habe ihn vor ein paar Monaten geschrieben. Eine Reflektion für ihn. Jetzt auch für mich. Ich komme nicht dazu zu fragen, was ihn dazu brachte wieder zu schreiben. Er sagt zu mir nur, er habe in alten Mustern gedacht. An alte Zeiten, alte Gedanken und alte Gesichter, und ja, er habe wieder geschrieben, aber das zum letzten Mal.

Den Brief den Alexander mir gegeben hat, beinhaltet einen Text mit dem Titel 

„VOM ALTER EGO & DEM PLAKATIVEN GLÜCK“

Hätte mir jemand, zum Beispiel Hannes, vor drei Jahren gesagt, dass alles gut wird, hätte ich mit den Schultern gezuckt, aus zwei „’ja’s” ein Wort gemacht, während dessen die Augen leicht verdreht und gefragt, ob er es nicht noch etwas plakativer ausdrücken möchte. Heute glaube ich, dass alles gut sein kann. Dass der Grundwert der Gefühle stimmen kann. Dieser ist, das habe ich für mich gelernt, viel wichtiger als jeder Gedanke. Für mich war das beste Verarbeitungsmanagement das Schreiben. Das Setzen von Punkten, von Ausrufezeichen und manchmal auch von Fragezeichen. Das habe ich irgendwann für mich entdeckt und Tatsache, es half. Aber was ist es, was gerade fehlt? Ich habe ein Tief. Mir fehlt das Schreiben und das Fieber in meinem Kopf während den Nächten im Schreibwahn.

Der gute Stoff. Alle Thematiken, die Dinge, die mich beschäftigt haben, das was mich zum Schreiben gebracht hat, die Probleme die wirklich da waren oder die, die ich mir nur in meinem Kopf konstruiert habe, alle Ex-Menschen, Geschichten und alle mal mehr oder weniger wichtigen Personen, die irgendwas in mir bewegt haben, sind in sämtlichen Texten rauf und runter verarbeitet. Alles was irgendwann mal störend in meinem Kopf fest hing, ist auf Papier gebracht und wurde wieder vernichtet. Gedankenfreie Schönheit. Auf eine seltsame Art und Weise ist alles im Reinen. Bin ich mit mir im Reinen. Ich glaube, das nennt man Zufriedenheit. Könnte sein. Dieser Zustand und ich, wir haben noch nicht so oft Bekanntschaft gemacht. Aber es fühlt sich gut an. So ein Satz aus meinem Kopf. Ja. Soweit, so gut.

Rückblickend betrachtet drehten sich die meisten meiner Texte um mich oder um die Menschen, die etwas in mir an- oder ab und zu auch ausstellten. Vielleicht braucht mein Geist diese Form von Egoismus, um schwarze Zahlen zu schreiben, um das Bruttoinlandsglück zu steigern. Denn jetzt merke ich auf meiner Suche nach dem plakativen Glück, dass die Zahlen wieder rot werden. Ich habe wieder Lust zu schreiben.

Aber ich weiß, wie es endet und davor habe ich Angst. Mein gutes Zeug schrieben immer meine schlechten Momente. So war das und so wird das wahrscheinlich auch immer sein. Aber Ich und mein Neues Ich sind ja offen für Neues. Oder? Es ist ein Versuch wert? Vielleicht probier’ ich es mal mit guten Zeilen aus guten Zeiten? Ohne den Worst Case und den mentalen Breakdown nach jeder Schreibphase. Das wären dann diese atmosphärisch positiv klingenden Texte, die sonst immer von den anderen verfasst werden. Doch bevor diese Überlegung überhaupt anfangen kann auszureifen, kommt mein Karma um die Ecke und schaut mich mit verschränkten Armen kritisch an. Ich solle es nicht gleich übertreiben. Wenn ich schon unbedingt wieder schreiben will und jubelnd mit offenen Armen in mein Verderben renne, dann auch richtig.

Ehe ich mich versehe hänge ich in den Stunden dieses Abends fest. Das war’s. Das Grundgefühl war gut. Bis eben. Ich spüre diesen dunkelgrauen Schleier, der so lang an mir hing. Er hat genau dieselben Zweifel dabei, die er immer im Schlepptau hatte. Sie laufen in Reih und Glied hinter ihm her und verfolgen mich und jeden meiner Gedanken. Ich spüre die tonnenschwere Last von damals links und die klebende Angst von früher rechts auf meinen Schultern. Nein, das hier fühlt sich nicht gut an. Was hierfür gereicht hat, ist ein entfernter Blick aus einer Menschenmenge, von Jemandem der mal sehr wichtig war. Es reicht ein Song in meiner Zufalls-Playlist, der mich an Dinge erinnert, an die ich nicht mehr denken sollte und erst recht nicht will. Es reicht ein Blick auf das Datum, um zu merken, was für ein Tag ist und was ich damit verbinde. Es reicht manchmal ein kleines Missverständnis und ein blöder Zufall, um sich wieder in alten Farben zu kleiden.

Ich merke, das hier ist ein Rückfall, ich besorge mir, ohne es steuern zu können, wieder was von dem guten Stoff. Und das, das fühlt sich gerade nach allem an, aber nicht richtig. Es fühlt sich an wie damals.

Doch bevor ich der Verführung verfalle in alten matt-schwarzen Truhen zu kramen und Gedanken auszuformulieren, die schon sieben-spurig durch meinen Kopf rasen, steht mein Alter Ego vor mir, nimmt mich in den Arm und zieht den grauen Schleier von mir. Es erklärt mir, dass ein Rückfall okay sei. Ein Rückschlag sei in Ordnung, so lange er nicht härter zuschlägt. Es entschuldigt sich und erklärt mir, dass es für all die Dinge gesorgt hätte, die mir gerade passiert sind. Es wollte eben nicht vergessen werden. Ich würde ja selbst wissen, wie es ist, vergessen zu werden. Es sagt mir, dass ich manche Eigenarten behalten soll, weil sie mich ausmachen und dass ich das mit den positiven Zeilen ruhig mal ausprobieren solle. Diese verstaubte Form von meinem Ich verspricht mir, dass es nie ganz abhauen würde, weil es eben ab und zu mal Hallo sagen möchte. Es hat wohl angefangen mein heutiges Ich zu mögen. Und auch wenn das nicht wirklich auf Gegenseitigkeit beruht, ist das okay. Denn zum Schluss verrät es mir, dass mein bisher vorsichtiges Gefühl emotional angekommen zu sein, mit all dem, was ich gerade habe und erlebe, mich nicht täuscht und wir beschließen zusammen an einer Eigenkreation unseres plakativen Glücks zu arbeiten. Ich merke, der Grundwert meiner Gefühle, der stimmt.

 

Brause im Blut

Vor dir stand jemand, der nichts mehr zu verlieren hatte. Ich hatte nichts mehr zu verlieren. Nichts mehr, außer dich. Du hast mir in die Augen geschaut, geschwiegen und mich verlieren lassen. Dieses Mal wirklich.

Ich dich.

Ich war ein schlechter Verlierer in einem Spiel, was schon lange keins mehr war. Jetzt weiß ich, wann der Spaß aufhört. Dann wenn man loslässt. Plötzlich merkst du.

Du auch mich.

Verlustspanne ausgenutzt. Jetzt bin ich ein glücklicher Verlierer. Du ein trauriger Gewinner. Zu Ende. Die Suche nach Erklärungen für Dinge die ungreifbar sind. Mit meinem Herz in der Hand und meiner Seele auf Durchzug, laufe ich weiter. Das Päckchen was schon längst zu schwer für meinen Rücken war, lass ich stehen. Ich biege ab. Stehe da im Feld. Hohes Gras. Leichter Wind. Rauschen der Autos. Autobahn weit weg. Sonnenaufgang. Drehe mich um. Schaue zurück zum Päckchen. Ärgere mich. Mache die Augen zu und atme ein. Fühle mich vom Boden bis zur Schädeldecke mit Schwerpunkt Brustkorb, glücklich. Atme aus. Das Komma mit dem Aber verblasst und ein Punkt erscheint. Ich bin glücklich. Durch meine Adern fließt Brause. Geschmacksrichtung nicht mehr du.

Du hängst am Zweifelhaken

Du fragst mich, wo der Haken an der Sache ist. Du tust das, was du gut kannst. Besonders gut. Zerdenken bis die Dinge ganz kaputt sind. Herzlos. Du brauchst etwas zum aufhängen. Gründe für deine Mauer aus Stein. Ich sage dir, hör auf damit.

Denn der einzige Haken den wir haben bist du, wenn du zu viel grübelst. Also hör auf zu denken und fang an zu fühlen. Zweifellos. Denn vielleicht hat das hier wirklich keinen Haken. Lass die Tür zu deinen Ängsten zu. Ausnahmslos. Lass mich zu. Lass uns zu.

Wieso jeder ein fensterloses Duschklo braucht

Vor ein paar Wochen saß ich bei einem Freund auf dem Sofa. Es war weit über Mitternacht. Wir führten kein schönes, aber ein gutes Gespräch. Irgendwann fragte ich ihn, wann er denn mal nicht denken würde. Er antwortete: „In der Dusche.“ Das sei der einzige Ort, an dem er alles um sich herum vergessen würde. Dort würde er loslassen. Ich lächelte und stimmte ihm zu. Ja, das kenne ich. Vor ein paar Tagen tauschte ich Ideen bezüglich eines neuen Projektes mit einem anderen Freund via Facebook aus. Ein kurzes Ding. Schnelles Tippen. Schreiben, was man denkt ohne es zu überdenken. Auch das kann mal ganz hilfreich sein.

Naja musst halt erstmal das Ding an sich benennen, dann die Ausgabe. Das finde ich am interessantesten. Ich habe… Klingt ganz gut auf jeden Fall. Naja das waren jetzt erst mal alle Ideen dafür im Allgemeinen. Und als Subline dann… Ausgabentitel wäre dann… oder so mal gucken. Geht doch schon gut in die richtige Richtung. Das Beste fällt einem dann eh wieder unter der Dusche, auf dem Klo oder beim Kaffee machen ein. Dusche! Immer. Dann Klo und dann ganz lange nichts. So sieht es aus. Klo in der Dusche wäre die ultimative Ideenschmiede.

Wie Recht er hatte. Ich schmunzelte noch ein bisschen und wir gingen weiter unseren Ideen nach. Ein bisschen Dies, ein bisschen Das verfolgen. Vielleicht doch Das. Irgendwie ist Das alles doch noch nicht so rund. Irgendwas fehlt. Ach man, ich weiß nicht weiter. Aha-Effekt, wo bist du? Man liest und redet, schreibt und hört und trotzdem will der Funke, den man sucht nicht überspringen. Das, was einen dazu bringt wirklich überzeugt von seinem Konzept zu sein, fehlt. Schweiß, Gedanken, noch keine Tränen, aber jede Menge Herzblut gehen ins Land.

Einer der 24 Menschen mit denen ich über meine Idee gebrainstormt habe, muss mir doch den richtigen Impuls geben können. Irgendwo auf einer dieser 500 achso kreativen Seiten, die ich bei Facebook geliked habe, muss doch DIE Inspiration sein, nach der ich auf der Suche bin. Ich höre Musik, schnelle und langsame, gehe raus, tue nichts, mache Sport, gehe essen, gehe feiern, kiffe, trinke, denke, denke nicht, grüble, fluche. Lese noch mehr, gucke mir alte Sachen, neue Sachen an, suche auf noch mehr Seiten, speichere, lösche, sammle, versinke in einer Bilder- und Gedankenflut. Ich will das Rad ja nicht mal mehr neu erfinden. Verdammt noch mal, irgendwo in diesem Internet muss sich doch was mit gutem Gewissen, nein nicht klauen, kopieren lassen.

Irgendwann sitze ich mit brennendem Kopf und tränenden Augen völlig verloren vor dem Rechner und bin kein Stück weiter. Der Funke der Idee ist noch kleiner als vorher. Alles was in meinem Kopf noch vorhanden ist, ist ein weißes Blatt Papier auf dem Blockade steht. Hallo, endlich bist du da. Ich habe dich schon erwartet.

Sie hat ‘nen Gästelistenplatz bei jeder Projektparty, jedes kreativen Gastgebers. Sie ist wie eine dieser 120,60,90-Promisternchen, die superlativ alles dafür tun, um ihr Bild einmal in der Woche in der „Touch“ zu sehen. Egal was da steht, Hauptsache es steht. Alternativ würde sie sich auch mit einem 1,5 Minuten langen Beitrag bei „RTL Exklusive“, noch lieber aber „Red“ zufrieden geben, um dort über eine andere haarverlängerte Blondine ihres Gleichen in bestem Deutsch zu lästern.

Die gute alte, blonde Blockade. Jeder kennt sie. Keiner mag sie. Trotzdem kommt sie immer wieder. Keiner gibt so gerne zu, dass er schon mehr als einmal was mit ihr hatte. Denn als guter Kreativer hat man sowas nicht zu haben, zumindest nicht zu oft. Die, die ihr verfallen, die hören auf zu denken, verlieben sich in kleine weiße ab und an auch bunte Pillchen, lachen über Blondinen-Witze und landen in der Werbung. Den anderen, denen fallen die intellektuellen Brillenträger-Ideen vielleicht irgendwann auf dem Klo, knapp am Smartphone vorbei, in den mittelmäßig ausgebauten Schoß. Die landen dann mal hier, mal da und werden irgendwann durchschnittlich glücklich mit ihren Ideen für die rosarote Gummimasse.

Dann gibt es die, die sich nicht mit Pressfleisch zufrieden geben. Die, die zarte Einfälle wollen. Ja, verdammt, die will ich auch. Filetstücke der Gedanken. Die, die gestern Nacht bis 4Uhr und heute schon wieder, ungewaschen den ganzen Tag verzweifelt auf der Jagd nach der DER Idee sind. Der Bildschirm spuckt inzwischen nichts mehr außer Selbstzweifel aus und der Impuls der eigentlichen Idee, der ist irgendwo in der kurzen Phase der Euphorie nach Projektstart hängen geblieben.

Übermüdet und verloren im Tunnelblick fällt mir auf, dass ich eigentlich mal wieder was essen könnte. Gewaschen würde das bestimmt noch besser schmecken. Vielleicht sogar draußen an der frischen Luft mit Freunden. Na gut. Duschen.

Klamotten aus, Wasser an. Der Durchschnitt duscht ungefähr 5 Minuten, nicht viel Zeit, die man sich nimmt, um mal nicht nachzudenken. Die einzige Aufgabe, die ich jetzt habe, hat sieben Buchstaben und lautet: Duschen. Ich stehe da und denke an nichts, außer, dass ich mich wundere, wieso hier schon wieder drei unterschiedliche Duschgele in allen drei Ecken der Dusche rumstehen. Egal, sind ja eh schon alle offen. Das Wasser ist eigentlich viel zu heiß, aber irgendwie gut. Augen zu. So schön ruhig. Hier ist der einzige Ort, an dem ich mal meinem Atem zuhöre. Und plötzlich kommt unverhofft dann doch oft. Ohne, dass ich will, weil ich eigentlich nur damit beschäftigt war, kein Shampoo ins Auge zu bekommen, ist er da, der eine Gedanke, der die Idee zu meinem Konzept macht. Sie steht da, ganz scharf gestellt vor meinem inneren Auge und feiert sich selbst. Ich feiere mit.

Die Dusche ist der perfekte Ort für eine Idee im Wachstumsstadium. Am besten kein Fenster, kein Einfluss. Nur der Raum,  keine Gedanken und Ich. Eine Idee braucht Euphorie, den Krampf danach, ab und zu auch eine billige Blockade und dann nur ein bisschen Wasser zum Abspülen des Unwichtigen. Feuchte Luft für die Reduktion des Guten. Am besten ein fensterloses Duschklo. Denn der springende Punkt, den ich im bunten World Wide Web und dem medialen Rausch gesucht habe, war die ganze Zeit in meinem Kopf.

Im Takt deiner Atopie

Heute mal wieder hier. Laute Nacht, bunter Sound, rauschende Lichter, heiße Luft. Alle um mich herum scheinen das hier zu lieben, scheinen diesen Ort, diese Stadt zu lieben. Ganz schön heller Schein. Sie tanzen im Promillerausch durch die dunkelbunte Nacht und wachen am nächsten Morgen mit stolzem Kater und Herzrasen auf. Mir kommt in meinem benebelten Sinn der erste Gedanke an dich. Erfolgreich erfolglos habe ich versucht das zu vermeiden.

Jetzt will ich weg. Diese Stadt, diese Gesichter. Hier ist niemand so wie ich, niemand so wie du. In keinen Augen erkenne ich mich wieder. Selbst in seinen nicht. Wenn er betrunken ist, versteht er mich nie. Versuchen zu diskutieren oder zu erklären habe ich aufgegeben. Während ich den Club verlasse, ziehe ich im schnellen Gehen meinen Mantel an. Raus hier. Sie fragt mich noch vor dem Ausgang wieso ich denn schon gehe. Das einzige was mir einfällt ist ein schwaches: „Darum.“ Warum ich wirklich gehe interessiert sie sowieso nicht. Sie sagt noch irgendwas, ich lächle müde und gehe.

Ich gehe nicht, ich flüchte und wünsche mich zurück zu dir. Zurück in deine Straßen. Ich wollte früher nie so sein wie du. Jetzt bin ich genau das. Genau so, wie die Menschen in deinen Straßen. Ich hab gedacht ich kann es lassen, dich hassen oder wenigstens verachten. Aber egal in welcher Stadt ich mir einbilde zu Hause zu sein, wohl fühle ich mich nie. Wenn ich endlos laufen könnte, würde ich zurück zu dir rennen. Jetzt und sofort, drei Nächte durch. Denn wenn ich wiederkomme, bist du immer da. Ob ich will oder nicht, du bist Heimat. Ob ich will oder nicht, das hier ist es nicht.

Ich bin bald in meiner Wohnung und frage mich während ich durch die schrecklich leisen Straßen spaziere, ob das jetzt Fernweh oder Heimweh ist. Weiß ich nicht. Auf jeden Fall irgendeine Form von Sehnsucht. Denn ich vermisse so vieles an dir. Die Kopfsteinpflastergassen mit den kleinen Plattenläden an den Ecken, die Aura deines Berufsverkehrs, jede rote Ampel, die mir zeigt, dass ich eigentlich auf dem falschen Weg bin. Die Augenringe deines Sonnenuntergangs, das Mixtape deiner Morgenstunden. Deine Stadtmitte ist eine Droge. Ich vermisse sogar die Menschen, die nicht miteinander sprechen, die sich missverstehen und sich nie richtig kennen lernen. Die Luft in deiner Gegenwart.

Schlüsselloch gefunden. Ich falle betrunkener als ich dachte in mein Bett, zum Glück allein. Denke an meine letzte Nacht unter deinem Himmel. Dunkel wird es nie ganz über dir. Ich kann mich noch an den Moment erinnern, als ich das letzte Mal im fünften Stock irgendeines Hauses eingeschlafen bin. Offene Fenster, dein Atem in meinem Nacken. Ich konnte nicht unterscheiden, ob es der Takt deiner Nacht oder meines Herzens ist, der da so laut schlägt. Ich erinnere mich an den Morgen, als ich dich das letzte Mal verließ. Die Sonne schien und ich fuhr die Abkürzung durch das alte Fabrikgelände raus aus deinem Trubel. Ein neuer, schlecht gesprühter Spruch an dem alten Backsteinhaus: „Ich wünschte, ich wäre mehr die Stadt, die du verdient hast.“

Ich auch. Du tust mir nicht gut. Du hast mich kaputt gemacht. Das weißt du, das weiß ich. Und trotzdem komm‘ ich immer wieder, weil du meine Stadt bist. Weil du Heimat bist.

Immer & öfter

Denk an mich,
wenn du aufstehst,
denk an mich,
wenn du einschläfst,
wenn du Traum bist.

Atme mich ein.

Denk an mich,
wenn du dir Kaffee machst,
während du isst,
wenn du Alltag bist.

Nicht mehr.

Denk an mich,
wenn du mit irgendjemand spazieren gehst,
wenn du mit ihr schläfst,
während du neben wem auch immer aufwachst,
wenn du so tust,
als wenn du Du wärst.

Atme mich aus.

Denk an mich,
wenn du im Tag hängen bleibst,
während du die ganze Nacht wach bist,
wenn du schlaflos bist.

Nie mehr.

Denk an mich,
wenn du liest,
wenn du schreibst,
während du textest,
wenn du Du bist.

Halt die Luft an.

Denk so viel an mich,
wie du willst.
Immer und öfter.
Aber sag mir nicht mehr,
dass du es tust.

1x oberflächig, bitte.

Das Mädchen, was sich gerade eine Reihe vor mir in den Fernbus gesetzt hat, ist so ein richtiges Pferdemädchen. Sie hat sich bestimmt bis vor ein paar Jahren die Wendy gekauft. Eher immer noch. Und sie hat diese Art von Handy, die alle Mädchen haben, die kein richtiges Smartphone besitzen, aber auch kein Old School-Handy. Eben diese ganz bestimmte Art von Handys, die nur diese ganz bestimme Art von Mädchen haben. Sie holt ihr Eastpak-Mäppchen aus ihren Eastpak-Rucksack. An dem fehlt eigentlich nur noch ein Nici-Anhänger. Vielleicht habe ich den übersehen. Das Mäppchen hat sie sich mit Sicherheit gekauft, als sie in die fünfte Klasse auf das Gymnasium kam. Schließlich gehört man da jetzt zu den coolen Kids und hat Sachen von Eastpak. Ich glaube sie ist um die 20.

Als nächstes holt sie einen Ordner raus. Froschgrün mit Fröschen drauf. Süß. Ich weiß gar nicht wohin mit meiner Begeisterung. Alles abgestimmt. Wenn schon denn schon. Sage ich auch immer. Sie scheint zu lernen. Alles schön brav geordnet und das Wichtigste, fast jede Zeile mit grünem Marker markiert. Das habe ich noch nie verstanden. Wieso unterstreichen diese Mädchen überhaupt was, wenn sie eh ALLES markieren. Naja soll sie machen. Damit sie beim Lernen nicht gestört wird, steckt sie sich Ohropax ins Ohr. Sie muss sich schließlich konzentrieren. Brille hat sie auch aufgesetzt. Durch die guckt sie aber jetzt mehr aus dem Fenster, als in den Frosch-Ordner. Hör mal, so wird das aber nichts mit dem Lernen.

Essen wir erst mal unser Brot. Sorgfältig in Alufolie eingepackt. Hat bestimmt Mama gemacht. Gute Reise liebes Kind. Einen Tee dazu. Tee, natürlich. Kaffee ist schlecht für den Magen. Auf der Thermoskanne ist ein Aufkleber von Stiftung Warentest „Gut 2,3“. Wie jetzt? Da informiert ihr euch, wahrscheinlich mit der ganzen Familie wochenlang, in welchem Behältnis der Beruhigungstee, gut für Nerven und Niere,  für die Tochter,  denn am besten aufgehoben ist und ihr gebt euch mit einer 2,3 zufrieden? Ich bin enttäuscht.

Huch verschluck dich nicht. Da muss sie husten. Der Tee scheint noch ein bisschen heiß zu sein. Na gut, scheint die 2,3 wohl doch auszureichen.

Aber hier, dass die Mama ihr nicht mal einen vernünftigen Haargummi kaufen konnte. Sie hat einen normalen Gummi als Haargummi. Diese Dinger, die man in der Küche aufbewahrt und nie da hat, wenn man sie braucht. Sie hat wohl immer einen parat. Aber aua. Das tut doch weh. Sowohl beim Rein-, und erst recht beim Rausmachen. Ein anderer oder viel mehr richtige Haargummi würde allerdings auch nichts mehr bringen. Die oberen 1/5 der Haare sind in einem Zopf zusammen gebunden und hängen mit den restlichen Haaren offen herunter. Diese Frisur fand ich schon immer scheiße. Eben diese typische Frisur von Frosch-Ordner-Besitzerinnen, die sich ihr Brot von Mama schmieren lassen und sich vom Taschengeld die Wendy kaufen.

Meine Liebe, ich glaube mit dir komme ich nicht ins Gespräch. Nicht heute. Ich bleibe lieber eine Reihe hinter dir sitzen und finde dich doof. Und jetzt esse ich erst mal mein gekauftes Brötchen und trinke meinen kalten Kaffee aus meiner undichten fünf-Euro-Kanne.

Viele Klicks, wenig Herz

Wir sind unkonzentriert,
noch weit über der Oberfläche.
Wir lesen und wir hören,
eigentlich nie richtig zu.
Wir schreiben und wir chatten,
in der Regel für den Vorteil.

Wir fragen und wir antworten mal mehr,
meistens weniger konzentriert.
Immer schnell, mal eben zwischendurch,
nie intensiv.

Keine Zeit für Ehrliches,
geschweige denn Echtes.
Viele Klicks, wenig Herz.

The person you have called is unavailable right now, please try again later

Vermissen ist chronisch. Mal ganz und mal gar nicht. Aber eigentlich jeden Tag da. Ist wünschen, dass es anders wäre. Ist wissen, dass es das nicht wird. Vermissen ist schleierhaft, lauwarm, vom Bauch bis zum Hals. Ein subtil ungutes Gefühl. Vermissen ist aushalten, akzeptieren, abgeben. Ist distanzierte Nähe. Vermissen ist wortlos. Neigt zum idealisieren. Ist die stärkste Form von Sehnsucht. Das Vermissen denkt im Konjunktiv und fühlt im Perfekt. Vermissen tut weh, mal mehr und mal weniger, aber immer ein bisschen. Heute ein wenig mehr.

Das Gefühl ist neu

Fenster auf. Gedanken raus.
Es ist dunkel, der Wind ist kühl. Gänsehaut.
Ich ziehe die Schultern zusammen und verschränke die Arme.
Vielleicht hätte ich mir was anziehen sollen.
Im Innenhof ist niemand, ich erinnere mich,
wie wir zusammen dort hergegangen sind.
Selten zusammen. Schade eigentlich.

Ich schaue kurz runter, schüttle den Kopf.
Ich lächle fast. Man schätzt nicht wert was man hat.
Ich weiß nicht, was ich je mehr wert geschätzt habe.

Du kamst in meine Welt, für die Erhaltung
meiner selbst, für die Wartung meiner Seele.
Weil du warst, hatte so Vieles einen Sinn.
Du warst Nichts und du warst Alles.

Mein Kopf war aus Stein.
Du hast mir gegenüber gesessen und ich schwieg.
Du auch. Ich werde deinen letzten Satz aufheben.
Bis er wahr wird. Wird er nicht.
Auf ein Wiedersehen. Anderes Du, anderes Ich.

Unverhofft und ungewollt.
Gekonnt verloren.
Und jetzt ungekonnt ganz ohne dich.
Jetzt bin Ich hier.
Unbeeinflusstes Ich.
Denken ohne Dich.
Das Gefühl ist neu.

Ich mach das Fenster zu und gehe wieder ins Schlafzimmer.
Mein letzter Gedanke nicht mehr für Dich.
Ich lege mich ins Bett, er nimmt mich in den Arm.
Mein letzter Gedanke ab jetzt für Mich.
Oder auch Ihn. Vielleicht. Mal sehen.

An was Ich denke, weiß Ich.
Von was Ich träume, sehe Ich dann.

Freundschaft Minus

Ich sage euch tschüss und du schließt die Tür hinter mir. Ich versuche durchzuatmen. Bekomme keine Luft. So schnell ich in Zeitlupe kann, gehe ich die Treppe runter. Unten angekommen sehe ich den leichten Nebel im Licht der Laternen. Eingefroren. Es ist kalt. Einzig unsere Verabschiedung war noch mehr im Minus. Ich gehe los. Mein Puls steigt. Mein Herz weiß nicht wohin, erdrückt von dem Knoten unter meiner Brust.

Wir haben uns lange nicht gesehen. So, nur noch ein bisschen weiter entfernt, fühlt es sich auch an. Trotz allem Ungeklärten komme ich vorbei. Die bekannte distanzierte Nähe, wie erwartet. Wir reden über den Job, deine und meine Projekte. Und ihre. Ganz in Ordnung, nichts Tiefes. Wir kratzen ein bisschen an der Oberfläche, auf der wir uns gerade erst wieder gefunden haben. Ich hier und ihr da drüben, mir gegenüber.

Wie nett.

Ich konnte dir immer alles sagen. 99 von 100. Du warst vom ersten Tag an die Rettung in jeder Not. Wir vertrauen uns schon so lang und dann merke ich, dass ich jeden Bezug zu dir verloren habe und wir uns überhaupt nicht kennen. Ob wir das je taten? Nein, ich glaube ganz sicher, wahrscheinlich nicht. Du weißt nicht wer ich bin. Das muss ich heute feststellen? Ich habe irgendwann aufgehört zu fragen, wer du eigentlich bist und wer ich wirklich bin, weiß ich gerade auch nicht mehr. Wie sollst du es dann wissen?

Du trinkst jetzt also Wein. Haben wir nie. Weißweingläser stehen dir sowieso nicht. Das war schon okay. Du fragst mich, ob sie mir gefällt. Sie trägt goldene Glitzerstiefel und darunter rosa Frottee-Socken. Ihre Art ist mädchen. Wie sie dich anschaut. Ihr Lächeln wirkt leicht unecht. Meins auch. Könnte daran liegen, dass es das ist. Wenn du wüsstest, wie schwer es mir gerade fällt, meine Mundwinkel nach oben zu bewegen. Wie hart ich mir gerade jedes Lachen erkämpfe.

Sie ist okay.

Ich habe dir immer alles gesagt. Aber nie alles gezeigt. Ich habe dir nie gezeigt wer ich bin, was ich bin und warum ich es bin. Als ich sage, dass ich dann los muss, weil ich noch zu ihm fahre, guckst du mich mit dem Blick an, den du mir immer entgegen wirfst, wenn es um ihn geht. Warum er? Warum schon wieder er? Er sei nicht gut für mich. Na und? Warst du auch nie. Mit meiner Liebe zu Lösungen komme ich hier nicht weiter. Ich schlucke den Kloß zusammen mit der verpassten Chance dir zu zeigen, wie ich wäre, wenn ich Ich wäre, runter.

Er, weil du es nicht bist.

Ich freue mich auf euren Besuch. Vergesst eure Frottee-Socken nicht.

Vom Alter Ego & dem plakativen Glück

Hätte mir jemand vor drei Jahren gesagt, dass alles gut wird, hätte ich mit den Schultern gezuckt, aus zwei „’ja’s“ ein Wort gemacht, während dessen die Augen leicht verdreht und gefragt, ob er es nicht noch etwas plakativer ausdrücken möchte. Heute glaube ich, dass alles gut sein kann. Dass der Grundwert der Gefühle stimmen kann. Für mich ist das beste Verarbeitungsmanagement das Schreiben. Das Setzen von Punkten, von Ausrufezeichen und manchmal auch von Fragezeichen. Das habe ich irgendwann für mich entdeckt und Tatsache, es hilft. Aber was ist es, was gerade fehlt?

Der gute Stoff. Alle Thematiken, die Dinge, die mich beschäftigt haben, das was mich zum Schreiben gebracht hat, die Probleme die wirklich da waren oder die, die ich mir nur in meinem Kopf konstruiert habe, alle Ex-Menschen, Geschichten und alle mal mehr oder weniger wichtigen Personen, die irgendwas in mir bewegt haben, sind in sämtlichen Texten rauf und runter verarbeitet. Alles was irgendwann mal störend in meinem Kopf fest hing, ist auf Papier gebracht. Auf eine seltsame Art und Weise ist alles im Reinen. Bin ich mit mir im Reinen. Ich glaube, das nennt man Zufriedenheit. Könnte sein. Dieser Zustand und ich, wir haben noch nicht so oft Bekanntschaft gemacht. Aber es fühlt sich gut an. So ein Satz aus meinem Kopf. Ja. Soweit, so gut.

Rückblickend betrachtet drehen sich die meisten meiner Texte um mich oder um die Menschen, die etwas in mir an- oder ab und zu auch ausstellen. Vielleicht braucht mein Geist diese Form von Egoismus, um schwarze Zahlen zu schreiben, um das Bruttoinlandsglück zu steigern. Und wie schön, dass die Ergüsse aus Höhen, in der Mehrheit Tiefen, auf meiner Suche nach dem plakativen Glück, sogar ab und zu ganz gerne auch mal jemand liest.

Bleibt momentan trotzdem die Frage nach dem guten Stoff zum Schreiben. Mein gutes Zeug schreiben meine schlechten Momente. So war das bisher immer. Gedankenarttechnisch bin ich aber offen für Neues. Vielleicht probier‘ ich es mal mit guten Zeilen aus guten Zeiten? Das wären dann diese atmosphärisch positiv klingenden Texte, die sonst immer von den anderen verfasst werden. Doch bevor diese Überlegung überhaupt anfangen kann auszureifen, kommt mein Karma um die Ecke und schaut mich mit verschränkten Armen kritisch an. Ich solle es nicht gleich übertreiben. Ehe ich mich versehe hänge ich in den Stunden dieses Abends fest. Das war’s. Das Grundgefühl war gut. Bis eben. Ich spüre diesen dunkelgrauen Schleier, der so lang an mir hing. Er hat genau dieselben Zweifel dabei, die er immer im Schlepptau hatte. Sie laufen in Reih und Glied brav hinter ihm her und verfolgen mich und jeden meiner Gedanken. Ich spüre die tonnenschwere Last von damals links und die klebende Angst von früher rechts auf meinen Schultern. Nein, das hier fühlt sich nicht gut an. Was hierfür gereicht hat, ein entfernter Blick aus einer Menschenmenge, von jemandem der inzwischen ungewollt extrem weit weg ist. Es reicht ein Song in meiner Zufalls-Playlist, der mich an Dinge erinnert, an die ich nicht mehr denken wollte. Es reicht ein Blick auf das Datum, um zu merken, was für ein Tag ist und was ich damit verbinde. Es reicht manchmal ein kleines Missverständnis und ein blöder Zufall, um sich wieder in alten Mustern zu kleiden.

Ich merke, das hier ist ein Rückfall, ich besorge mir, ohne es steuern zu können, wieder was von dem guten Stoff. Und das, das fühlt sich gerade nach allem an, aber nicht richtig. Es fühlt sich an wie damals.

Doch bevor ich der Verführung verfalle in alten matt-schwarzen Truhen zu kramen und Gedanken auszuformulieren, die schon sieben-spurig durch meinen Kopf rasen, steht mein Alter Ego vor mir, nimmt mich in den Arm und zieht den grauen Schleier von mir. Es erklärt mir, dass ein Rückfall okay sei. Ein Rückschlag sei in Ordnung, so lange er nicht härter zuschlägt. Es entschuldigt sich und erklärt mir, dass es für all die Dinge gesorgt hätte, die mir gerade passiert sind. Es wollte nicht vergessen werden. Ich würde ja selbst wissen, wie es ist, vergessen zu werden. Es erklärt mir, dass ich manche Eigenarten behalten soll, weil sie mich ausmachen und dass ich das mit den positiven Zeilen ruhig mal ausprobieren solle. Diese alte Form von meinem Ich verspricht mir, dass es nie ganz abhauen würde, weil es eben ab und zu mal Hallo sagen möchte. Es hat wohl angefangen mein heutiges Ich zu mögen. Und auch wenn das nicht wirklich auf Gegenseitigkeit beruht, ist das okay. Denn zum Schluss verrät es mir, dass mein bisher vorsichtiges Gefühl emotional angekommen zu sein, mich nicht täuscht und wir beschließen zusammen an einer Eigenkreation unseres plakativen Glücks zu arbeiten. Ich merke, der Grundwert meiner Gefühle, der stimmt.

Veranda-Whiskey

Anfänge sind bei dir selten Hals über Kopf, sondern vor Beginn schon  totgedacht. Enden hast du jede Menge. Die sind nur nie happy. Verdienen höchstens noch ein ‚The‘ davor. Filmreife Tragödien. Doch deine Leidenschaft zu Dramen macht einsam. Deine Einsamkeit macht dich nicht hässlich, dafür bist du zu hübsch. Aber sie lässt dich allein und betrübt zurück. Lach doch mal. Dein Lächeln steht dir so gut.  Wenn du nicht immer dran gehen würdest, wenn die Vergangenheit anruft, könntest du auch öfter lachen. Hast du gemerkt, dass sie dir nie was Neues zu erzählen hat?

Außer Spinat schmeckt aufgewärmtes nicht. Und das mochtest du doch sowieso noch nie. Fang an Du zu sein. ‘D‘ für dich und ‘U‘ für uns. Dann können wir sein, was wir wollen. Und wollen was wir eigentlich eh schon sind. Verdoppel die Male der Momente, in denen du an dich glaubst und schreib der Angst einen Abschiedsbrief. Ich helfe dir gern. Ich kenn da jemanden, der gerne schreibt. Und danach senden wir jedem Menschen, den du liebst eine Postkarte. Auch wenn es nur einer ist. Der zählt. Du zählst.

Ab sofort führst du Strichliste der guten Momente. Die schlechten bleiben draußen. Nur die guten bleiben. Die sitzen irgendwann mit uns auf der Veranda und trinken Whiskey. Du, Ich und die guten Zeiten. Von dort aus sehen die schlechten auch gar nicht mehr so schlimm aus. Trau dich gut zu sein. Groß zu sein. Ich bin nach dir der erste, der weiß, dass du das kannst. Einsam ist und Angst hat jeder mal. Das geht schon in Ordnung.

Aber du hast so sehr keinen Grund dafür. Denn gerade ist alles ganz schön okay. Du hast mich und die gute Zeit. Gute Momente mit der du deine leeren Blicke füllen solltest. Denk nächstes Mal dran, Glück steht dir so verdammt gut. Gib nicht auf. Denn wenn du gehst, tu ich es auch.